Schreiben ist schön, Überarbeiten ist schöner, Fertigwerden ist am schönsten

Während ich an der Überarbeitung des zweiten Bandes von Perfaectas Prophezeiung schreibe, möchte ich euch an meinem Schreib-, Überarbeitungs- und Denkprozesses teilhaben lassen. Ihr könnt mir hier über die Schulter schauen und mitverfolgen, wie ich mit Erzählperspektive, Spannungsaufbau, Charakterentwicklung und vielem mehr umgehe. Wer Band 1 Im Zeichen des Feuers kennt, bekommt Hintergrundinfos zur Entstehungsgeschichte, wer die Serie noch nicht kennt, erhält Einblick in den generellen Schreibprozess.

Was richtig ist, muss von Szene zu Szene, Satz zu Satz, Wort zu Wort neu ausverhandelt werden.

Für den Anfang möchte ich festhalten, was ich unter einer Szene, Figuren und Konflikten verstehe. Wer sich näher mit der Theorie ums Schreiben und der Dramaturgie beschäftigt hat, weiß, dass es gängige Definitionen gibt, wer aber selbst schreibt, wird vielleicht schon einmal die eine oder andere Ausnahme von der Regel erlebt haben, bei der die allbekannten Definitionen nicht so ganz zutreffen. Für mich gibt es kein klares Richtig und Falsch beim Schreiben. Was richtig ist, muss von Szene zu Szene, Satz zu Satz, Wort zu Wort neu ausverhandelt werden. Was in der einen Szene »richtig« war, kann eine andere kaputt machen. Genauso verhält es sich mit Definitionen. Sie sind richtig, bis sie es plötzlich nicht mehr sind und neu formuliert werden müssen.

Eine Szene

… ist einer von vielen Bestandteilen eines Textes. Mehrere Szenen ergeben einen Handlungsstrang und können gleichzeitig Teil von mehreren Handlungssträngen sein. Ab wann spreche ich von seiner Szene? Wenn Ort, Figuren und Konflikte über einen gewissen Zeitraum größtenteils gleichbleiben. Kommt es zu einem Ortswechsel, aber die Figuren und die Konflikte verändern sich nicht, spreche ich noch immer von ein und derselben Szene. Sind aber Ort, Figuren und Konflikte neue, so kommt es auch zu einer neuen Szene.

Beispiel:
Im ersten Kapitel von Im Zeichen des Feuers (Perfaectas Prophezeiung, #1) sitzen Amanda und Aki gemeinsam mit den anderen (= Figuren) im Wohnzimmer der Yamadas (= Ort) und diskutieren über die Referatsvorbereitung (= vorherrschender Konflikt). Das ist eine Szene. Sobald Amanda und Aki (= nur noch zwei statt sechs Figuren) in seinem Zimmer (= neuer Ort) an dem Referat arbeiten (= neuer Konflikt), sind wir schon in einer neuen Szene.

Figuren

… sind die Akteur*innen innerhalb einer Handlung. Diese müssen nicht immer sprechen, um an der Handlung teilzunehmen bzw. diese voranzutreiben. Jede Figur sollte innerhalb einer Szene einen Zweck haben. Funktioniert eine Szene genauso oder sogar besser ohne eine bestimmte Figur, sollte diese entweder gestrichen oder genau auf ihre Berechtigung überprüft werden.

Beispiel:
Bleiben wir in der Szene, in der Amanda, Aki, Takashi, Yue, Rochelle und Emilie über die Referate sprechen. Das sind viele Figuren, vor allem im ersten Kapitel, oder? Sie alle aber haben eine Daseinsberechtigung (abgesehen davon, dass sie in der weiteren Handlung von Bedeutung sein werden.)
Amanda ist die protagonistische Figur, ohne sie gibt es niemanden, die die Szene erzählen könnte.
Aki ist der Grund für Amandas Konflikt in der Szene – mit ihm muss sie das Referat halten. Ohne ihn gäbe es den vorherrschenden Konflikt in der Szene nicht.
Takashi rückt den schulischen Leistungsdruck in den Mittelpunkt, durch ihn kommt noch einmal zum Ausdruck, was für Amanda von dem Referat abhängt.
Yue und Rochelle funktionieren in dieser Szene als Paar. Durch sie wird Amandas romantische Sehnsucht angedeutet. Gerade die erste Liebe ist für Amanda wesentlich in ihrer Entwicklung in Band 1.
Und Emilie ist die antagonistische Kraft in der Szene, die Amanda Steine in den Weg legt.
Würde man eine dieser Figuren streichen, würde die Szene an Substanz verlieren, darum dürfen alle bleiben.

Konflikte

… resultieren unterm Strich aus mindestens zwei unterschiedlichen Kräften, die aufeinandertreffen. Konflikte können unterschiedliche Wertvorstellungen, Zielsetzungen, Bedürfnissen oder Motivationen von Figuren sein. Eine Szene muss mindestens einen Konflikt beinhalten, nach oben hin gibt es aber keine Grenze. Je mehr Konflikte eine Szene hat, desto komplexer wird sie. Ob es ratsam ist, komplexe Szenen zu schreiben, hängt davon ab, ob man sich dieser Herausforderung gewachsen sieht, gleich viele Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen. Denn Konflikte existieren nicht um ihrer selbst willen, sondern um eine Handlung voranzutreiben.
Außerdem müssen die Art und Anzahl der Konflikte auch zu der Geschichte selbst passen. Wenn ich eine Liebesgeschichte mit Happy End schreibe, aber Konflikt an Konflikt reihe und das Happy End immer weiter in die Ferne rückt, kann das frustrierend für die Leser*innen werden. Weniger und nicht so komplexe Konflikte bieten sich da wohl eher an. Wenn ich aber High Fantasy schreibe und sehr sparsam mit meinen Konflikten bin und diese eher simpel ausfallen, kann die Geschichte langweilig werden.

Beispiel:
Der vorherrschende Konflikt besteht in der Vorbereitung eines Referates, das Amanda mit Aki halten muss. Wir befinden uns am Anfang der Geschichte, die Teenager wissen noch nicht, dass sich in einem interdimensionalen Krieg befinden. Ihre Konflikte sind noch »normal«, wie ein Referat mit jemandem halten zu müssen, der einerseits nichts für die Schule macht und für den man andererseits Gefühle hegt, die man selbst nicht so genau benennen kann. Diese zwei Punkte werden durch Takashi (er zwingt Aki dazu, seinen Hintern hochzukriegen) und Yue/Rochelle (die beiden sind Amandas Vorstellung eines Traumpärchens und wecken Sehnsüchte, die Amanda in Hinblick auf Aki noch nicht formulieren kann) hervorgehoben. Dann ist da noch Emilie, die die Zusammenarbeit zwischen Amanda und Aki sabotiert. Das befeuert den bereits bekannten Konflikt der Referatsvorbereitung, gleichzeitig schafft es aber auch einen neuen und lässt fragen: Wieso ist Emilie so gemein?

Fazit

Diese eine Szene legt die Weichen für zwei Handlungsstränge – die Beziehung zwischen Amanda und Aki und die Beziehung zwischen Amanda und Emilie. Sie hat 0% fantastischen Mehrwert, dafür 100% Informationsgewinn über die zwischenmenschlichen Beziehungen und verändert etwas zwischen den Figuren (Amanda und Aki kommen sich näher, Amanda und Emilie entfernen sich  voneinander). Denn auch das müssen wir uns fragen: Inwiefern ist eine Szene relevant für den weiteren Handlungsverlauf? Wäre die Handlung eine andere ohne sie?

Auf der nächsten Seite meines Schreibtagebuches gehe ich auf eine Szene ein, die mir ganz besonders viel Kopfzerbrechen bereitet hat. Wieso das so ist und was ein zu großes Ego damit zu tun hat, erfahrt ihr, wenn ihr weiterlest.

Für Fragen oder Anregen nützt die Kommentare oder wendet euch an schreib@nikkicelen.com 🙂

Eine Szene, jede Menge Figuren und noch mehr Konflikte (Seite 1 in Nikks Schreibtagebuch)

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